„Weder glamourös noch ein Job wie jeder andere“. Dokumentation und Vortrag über Prostitution

Von Alexander Bahar unter Mitarbeit von Tristan Oetker-Kast

Am vergangenen Mittwoch, 21. Februar, fand in der GTZ-Halle für die Klassen 9 bis 12 eine Informationsveranstaltung zum Thema Prostitution statt. Die Veranstaltung begann mit der gekürzten Fassung einer Dokumentation des Fernsehsenders ZDFinfo mit dem Titel „Bordell Deutschland“. Der Beitrag setzt sich äußerst kritisch mit dem im Jahr 2002 verabschiedeten Prostitutionsgesetz (offiziell: „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“) und seinen Auswirkungen auseinander. Das Gesetz gilt als eines der liberalsten seiner Art in Europa und hat die Ausübung der Prostitution in Deutschland deutlich leichter gemacht. Danach ist Prostitution nicht mehr sittenwidrig. Verträge zum Zwecke der Ausübung der Prostitution, beispielsweise bei der Anmietung eines Gewerberaumes oder zwischen Prostituierten und Freiern haben seither auch vor Gericht Bestand. Mit Einführung des Gesetzes wurden gleichzeitig einige Paragraphen des Strafgesetzbuches abgeschafft, die zum Beispiel die (Selbst)-Organisation von Prostituierten und die Gestaltung von deren Arbeitsbedingungen betrafen.

Folgt man der Dokumentation, dann ist das Gesetz auf der ganzen Linie gescheitert, ja, die Lage der Prostituierten hat sich infolge des Gesetzes sogar dramatisch verschlimmert. Zitat: Die „liberale Gesetzgebung scheint moderne Sklaverei zu begünstigen.“

In der Folge des Gesetzes sei Deutschland zum „Bordell Europas“ geworden, so das Fazit der Dokumentation, und neben Rumänien die Drehscheibe der Zwangsprostitution und des Menschenhandels in Europa. Untermauert wurden diese Aussagen mit entsprechenden Zitaten von Sozialarbeitern, Vertretern der Polizei, Bordellbetreibern, ehemaligen Geldeintreibern und (ehemaligen) Prostituierten, die in der Dokumentation ausführlich zu Wort kommen. Demnach soll es in Deutschland aktuell zwischen 400.000 bis eine Million Prostituierte (überwiegend Frauen) geben. Ausführlich dargestellt wurde in der Dokumentation das Dreieck: Prostituierte – Zuhälter (oft angeblicher Freund) – Bordellbetreiber. Während die Bordellbetreiber sich gern als Saubermänner sähen, würden tatsächlich neun von zehn Frauen zur Prostitution gezwungen. Häufig arbeiteten Bordellbetreiber mit dem Rocker-Milieu zusammen. Jedes zweite Prostitutions-Opfer sei zudem jünger als 18 Jahre. Von den in Deutschland tätigen Prostituierten stamme die größte Gruppe aus Rumänien, den zweitgrößten Anteil machten schon deutsche Frauen aus.

Der Weg ausländischer Frauen in die Prostitution erfolge in der Regel nach dem Schema: Anwerbung – Schleusung – sexuelle Ausbeutung. Das Muster sei in fast allen Fällen das gleiche: Es beginne häufig mit dem Versprechen einer Model-Karriere, auf die eine inszenierte Schuldenfalle folge. Letztlich sei das Opfer in einer kriminellen Parallelwelt gefangen, einem geschlossenen Milieu mit eigenen Wertvorstellungen, eigenen Gesetzen, eigenen Richtern und sogar eigenen Henkern, wie die Doku deutlich macht.

Die Dokumentation geht ausführlich sowohl auf die Folgen der Prostitution ein: schwere psychische Probleme auch infolge von Gewalterfahrungen, Dissoziation, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), erhöhte Sterblichkeit. Sie zeigt aber auch individuelle Ursachen für das Abrutschen in die Prostitution auf. So wurden 43 Prozent der befragten Frauen als Kind missbraucht, 52 Prozent wurden als Kinder körperlich bestraft bzw. misshandelt.

Im Anschluss an die Vorführung der ZDF-Dokumentation berichtete die Antiprostitutionsaktivistin und ehemalige Prostituierte Sandra Norak (Pseudonym), die in der Doku als Zeugin zu Wort kommt, anhand ihrer persönlichen Erfahrungen über die Gefahren und das Elend der Prostitution. Dabei räumte sie gründlich mit dem „Mythos von der selbstbestimmten Prostitution“ auf.

Sandra Norak erzählte, wie sie selbst als Schülerin das Opfer eines sogenannten „Loverboys“ wurde. Unter diesem Begriff wird eine spezielle Sorte von Zuhältern zusammengefasst, die junge Mädchen und Frauen umgarnen, ihnen Liebe vorspielen und sie von ihrem sozialen Umfeld abkoppeln, um sie letztendlich mittels einer inszenierten Schuldenfalle in die Prostitution zu stoßen. Meist konzentrierten sich diese Loverboys auf eine bestimmte Art von Mädchen: Mädchen mit geringem Selbstwertgefühl, die häufig aus schwierigen familiären Verhältnissen stammten. Es sei wichtig, betonte Sandra Norak, zu erkennen, wie diese Methode funktioniert. Sandra Norak selbst hat ihren Loverboy (20 Jahre älter als sie) als Schülerin über einen Chatroom im Internet kennengelernt

„Prostitution ist weder glamourös noch ein Job wie jeder andere“, schloss Sandra Norak. Dass es eine „selbstbestimmte, emanzipierte Prostitution“ gebe, sei „eine von den von Medien vermittelte Illusion“.

Ihr Vortrag endete mit dem Plädoyer an die im Saal anwesenden Jungs, von Besuchen bei Prostituierten abzusehen. Es sei alles andere als cool, die Notlage von anderen Menschen auszunutzen. Es gelte vielmehr, die Grenzen von anderen zu achten. Den anwesenden Mädchen gab sie den Rat, die eigenen Grenzen zu schützen. Oft glitten solche Mädchen in die Prostitution ab, die nicht gelernt hätten, Grenzen zu ziehen, „nein“ zu sagen, wenn man etwas nicht will. „Wer Euch liebt, der wird Euch niemals zu etwas bringen, das ihr nicht wollt!“, schloss sie ihren Vortrag.

Nach kräftigen Applaus aus dem Publikum bestand noch die Möglichkeit, Fragen an die Referentin zu stellen. Gefragt wurde etwa nach den Lebensumständen von Sandra Norak nach ihrem Auszug aus dem Elternhaus. „Wo haben Sie da gelebt?“, wollte eine Zuhörerin wissen. „In Bordellen“, lautete die ernüchternde Antwort.

Im Anschluss an die offizielle Veranstaltung sprachen Mitglieder des Urspringblog mit Sandra Norak und ihrer Begleiterin Solveig Senft, Lehrerin für Kunst und Philosophie aus Ehingen, die den Vortrag vermittelt hatte. Diskutiert wurde dabei auch über verschiedene Ansätze zur Abschaffung der Prostitution, wie sie sowohl in der Dokumentation als auch im Vortrag von Sandra Norak angesprochen wurden. Kontrovers beurteilten die Teilnehmer der Diskussionsrunde das aus Schweden stammende „nordische Modell“, das nicht Prostituierte bestraft, sondern ausschließlich die Freier. Seit es in Schweden im Jahr 1999 als Gesetz eingeführt wurde, habe dieses Modell seine Effektivität mehrmals unter Beweis gestellt, betonten Sandra Norak und Solveig Senft. Es wird in modifizierter Form mittlerweile auch in Norwegen, Island, Nordirland, Irland und Frankreich umgesetzt.

Der Urspringblog dankt insbesondere Sandra Norak für ihren mutigen und informativen Beitrag zur Aufklärung über das Thema Prostitution wie auch Solveig Senft und Schulleiter Dr. Wetzler für die Organisation dieser sehr gelungenen Veranstaltung.

Fotos: A. Bahar

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