„Geschmack ist nichts, das vom Himmel fällt“

Anlässlich des Solokonzerts von Konstantin Wecker im GTZ am vergangenen Freitag sprach Alexander Bahar mit dem Musiker, Liedermacher und Poeten.

 

Konstantin, als wir Dich nach Urspring eingeladen haben, waren die Reaktionen von Schülerseite sehr gemischt. „Mit dem können wir nichts anfangen“, „den hören unsere Eltern, aber doch nicht wir“ – das waren so exemplarische Äußerungen. Wenn man sich das Publikum des heutigen Abends anschaut, dann überwiegt eindeutig die Generation 50+ und mehr, junge Gesichter sieht man kaum. Welche Erfahrungen machst Du denn mit jungen Leuten?

Ich bin öfters in Schulen eingeladen. Meistens von jungen Leuten, die politisch engagiert sind, meine Blogs lesen, aber nicht unbedingt in die Konzerte kommen. Wenn sie sich dann mit meiner Musik beschäftigen, merken sie, dass sie so etwas nicht kennen, dass das aber dennoch ganz schön und interessant sein kann. Musik ist ja zunehmend eine Frage der sozialen Zugehörigkeit – also: Bist Du ein Emo? bist Du ein Punkie? Bist Du ein Metaller? Das ist natürlich auch etwas schade. Aber es geht auch anders. Ich sehe es an meinem 17-jährigen Sohn. Der ist auch aufgewachsen mit klassischer Musik. Der hat überhaupt keine Berührungsängste, geht mit mir in die Oper und ist begeisterter Punker. Das geht also, man muss sich gar nicht für eine Sache entscheiden.

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Welche Botschaft würdest Du Jugendlichen in diesem Punkt mit auf den Weg geben wollen?

Was ich versuche, meinen Kindern und auch Jugendlichen an Schulen zu sagen, ist erstens: Es gibt keine reine, es gibt keine reinrassige Kultur. Kultur ist immer eine Mischung aus allen möglichen Einflüssen. Das ist ein entscheidender Punkt. Wenn die Rechtspopulisten von der AfD wüssten, wie viel wir in unserer Musik an arabischen Einflüssen haben, würden sie vielleicht mal die Ohren öffnen, die sie bis jetzt nur verschlossen haben. Und – das ist vielleicht das Wichtigste ‒, Geschmack ist nicht etwas, das vom Himmel fällt, Geschmack wird gemacht, und heutzutage gezielt gemacht. Ich höre immer wieder: „das ist halt mein Geschmack!“ Okay, das kann man natürlich erst einmal sagen, aber dann kann man auch fragen: Woher kommt das? Warum habe ich diesen Geschmack? Warum ist es zum Beispiel mein Geschmack, Markenkleidung zu tragen? Woher kommt das? Weil sie wirklich so schön ist, die Kleidung? Oder nicht vielmehr, weil mir das überall gesagt und eingetrichtert wird? Das wird gesteuert, und das wissen auch die Jugendlichen, die im Internet, in den Netzwerken viel mehr unterwegs sind als wir. Die PR-Maschinerie des neoliberalen Kapitalismus ist gnadenlos. Die einzige Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, ist, alles in Frage zu stellen. Das war das Großartige an der Revolution der 1968er, seit der Hippiebewegung: alles wurde in Frage gestellt, alles …

… auch die Mode.

Richtig … auch die Mode wurde in Frage gestellt, die Moral wurde insgesamt in Frage gestellt. Das trieb manchmal auch komische Blüten, keine Frage. Aber das gehörte eben dazu.

Man kann von Jugendlichen kaum erwarten, dass sie schon die Analysekraft besitzen, sich zu überlegen: Wo kommt das her? Wäre ich vielleicht ein ganz anderer, wenn ich irgendwo anders aufgewachsen wäre, in einem anderen Kulturkreis? Würde dann auch z.B. Heavy Metal das Höchste für mich auf der Welt sein? Aber man kann ein solches Hinterfragen anstoßen. Es handelt sich ja immerhin um Jugendliche, die irgendwann einmal wissenschaftliche bzw. geistes-wissenschaftliche Berufe ergreifen wollen. Und noch etwas kann man den Jugendlichen sagen: Auch euer politisches Desinteresse ist gesteuert. Das ist nicht normal für einen Jugendlicher, ein Jugendlicher will sich engagieren. Man hat das gesehen bei der Flüchtlingsbewegung, da waren sehr viele Jugendliche dabei. Und ich finde, die Generation, die jetzt so 14, 15, 16 Jahre alt ist, die ist wieder ein bisschen spannender als die 20+, am schlimmsten ist die 30+, die sind völlig entpolitisiert.

Aus welchen Gründen engagieren sich diese Jugendlichen Deiner Erfahrung und Einschätzung nach etwa in der Flüchtlingsbewegung? Ist es ausschließlich der Wunsch, diesen Menschen, die in der Regel Furchtbares erlebt haben, zu helfen? Oder geht es weiter, im Sinne eines Hinterfragens der politischen Zusammenhänge?

Man will sich seine Empathie nicht nehmen lassen! Man hat Angst vor Ideologien, was ich gut finde, als alter Anarcho sowieso. Das hatte ich auch immer und werde ich weiterhin haben. Das finde ich in Ordnung. Aber das heißt nicht, dass man deswegen nicht denken sollte, also, dass man die Ideen nicht umsetzen sollte, die man hat.

Für viele gilt heute ja schon das Verfolgen einer Idee als Ideologie, wenn sie nicht dem politischen Mainstream entspricht.

Wo es doch so wichtig ist, Utopien zu haben! Natürlich ist es auch gefährlich. Wenn ich eine Utopie habe, dann muss ich vielleicht etwas an meiner Lebensweise ändern, an meiner bequemen, und muss mich zu meinen Ideen bekennen. Und da haben wir den dritten entscheidenden Punkt bei den Kindern: das ist das Bashing, das Mobbing. Das ist ungeheuer. Darüber habe ich gerade vor zwei Tagen lange mit meinem Sohn gesprochen. Das war im Falle eines Mitschülers, von dem er mir berichtet hat. Es war nicht einmal ein richtiges Mobben, der Bub musste nur jeden Tag Angst haben, dass er nicht blöd angeredet wird. Auf den haben sie es halt einfach abgesehen, der konnte nichts machen.

Ich finde, eine der wichtigsten Aufgaben für einen Lehrer heute ist, seinen Schülern klarzumachen, dass Mobbing eine große Feigheit ist. Wer andere mobbt, der ist ein Feigling. Ich sage immer: Schützt Eure Außenseiter, Mitläufer haben wir genug, und Mitläufer haben uns das große Elend eingebracht in der Geschichte, immer wieder waren es die Mitläufer. Schützt Eure Außenseiter, das sind diejenigen, zu denen man eigentlich stehen muss, also wehrt Euch, sobald ihr Mobbing in Ansatzpunkten bemerkt! Es gibt einen großartigen Satz von Hannah Arendt, den sollte man über jedes Schulportal schreiben: „Niemand hat das Recht gehorsam zu sein“.

Und wenn dieser Außenseiter, was es ja gibt, rechte politische Tendenzen hat? Muss das nicht auch in einem solchen Fall gelten?

Ja, auf jeden Fall, solange er so klein ist und so jung ist. Wenn ein Außenseiter rechte Gedanken äußert oder Dinge tut, dann hat es auch keinen Sinn, ihn einfach zu mobben. Dann wird er in der Regel noch radikaler. Man muss inhaltlich auf seine Argumente oder Vorurteile eingehen. Freilich, die ganz Dumpfen erreicht man damit nicht. Und wir müssen uns daran gewöhnen: In jeder Gesellschaft wird es einen Prozentsatz dieser ganz Dumpfen geben – in Österreich sind es mittlerweile 50 Prozent (lacht).

Steht diese politische Rechtsentwicklung nicht auch im Zusammenhang mit einer zunehmenden Verelendung in unserer Gesellschaft?

Natürlich, das könnte man den Jugendlichen auch sagen: Denkt einmal darüber nach, dass die Prekarisierung durch den Finanzkapitalismus einen wunderbaren Nährboden geschaffen hat für all diesen rechten Populismus. Zu mir hat ein Freund aus Österreich gesagt: Die FPÖ muss jeden Tag auf Knien Gott danken für die Flüchtlingskrise, denn die hat ihr 30 Prozent mehr Stimmen gebracht. Die größte Lüge dieser rechtspopulistischen Parteien, FPÖ oder AfD, ist so zu tun, als wären sie der Freund des kleinen Mannes, denn in Wahrheit sie sind der Freund des Großkapitals, das kann man deutlich in ihren Parteiprogrammen lesen.

Und die Flüchtlingskrise ist ja auch nicht vom Himmel gefallen, sondern Resultat der systematischen Zerstörung ganzer Länder. Müssten nicht eigentlich die USA als Hauptverantwortliche für diese Kriege den größten Teil der Flüchtlinge aufnehmen?

Ja, aber das darf man heute allenfalls umschreibend ausdrücken. In den USA haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Waffenlobby und das Finanzkapital zu den absolut dominierenden Mächten aufgeschwungen. Die Summen, die seither für Waffen und Kriegsgeräte ausgegeben werden und wurden, sind so ungeheuer, da muss man Krieg führen, das geht doch gar nicht anders. Wenn ein Großteil der Industrie von Waffen lebt, dann muss man einfach Krieg führen.

Es gab vor einiger Zeit eine tolle Karikatur – in der Washington Post, glaube ich: lauter Banker, Börse, Aktienkurse usw. Da sagt einer: Ja, ja, wir wissen schon, dass hier 2050 wahrscheinlich alles in Schutt und Asche liegen wird. Aber bis dahin können wir kräftig Geld verdienen! (lacht)

Ich glaube deshalb, dass wir ein anderes Bewusstsein benötigen. Die Revolution, die ich mir vorstelle, ist eine des Bewusstseins: zu entdecken, dass wir uns die Empathie nicht nehmen lassen dürfen. Klar, Empathie ‒ das mögen die Kriegstreiber und Anhänger eines entfesselten, „neoliberalen“ Kapitalismus nicht, weil sie Angst vor der Solidarität der Regierten haben.

Foto-Impressionen vom Konzert (Bilder: A. Bahar)

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Konstantin Wecker, wie man ihn kennt!

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Vorband „Feschttagsmusik“

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Konstantin Wecker las auch aus seinen Büchern

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Konstantin Wecker und Joe Barnickel, der ihn auf dem Flügel begleitete

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Am Ende gab es stehenden Applaus!

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